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Kapitel 56: Wenn jemand deine Identität herausfindet

Es ist passiert. Jemand weiß, wer du bist. Dein Name ist raus. Vielleicht deine Adresse. Dein Arbeitsplatz. Panik? Verständlich. Aber jetzt ist keine Zeit für Panik. Jetzt ist Zeit für Action.

Erstmal: Atmen. Ja, es ist schlimm. Aber es ist nicht das Ende. Du kannst den Schaden begrenzen. Du kannst dich schützen. Du kannst weitermachen.

Aber du musst schnell handeln.

Phase 1: Sofortmaßnahmen (erste 24 Stunden)

Die ersten Stunden sind kritisch. Jede Minute zählt.

1. Dokumentiere alles

  • Screenshots machen: Wo wurde deine Info veröffentlicht? Wer hat es getan?
  • URLs speichern
  • Datum und Uhrzeit notieren
  • Namen/Accounts der Täter festhalten

Warum? Beweise. Für rechtliche Schritte. Für Plattform-Reports. Für alles.

2. Accounts sichern

  • Passwörter ändern: Alle. Sofort. Hauptaccounts, Creator-Accounts, Email, Banking.
  • 2FA aktivieren: Zwei-Faktor-Authentifizierung überall, wo möglich.
  • Login-Aktivitäten checken: Hat sich jemand eingeloggt? Unbekannte Geräte? Sofort rauswerfen.

3. Kontakte informieren (selektiv)

  • Familie, enge Freunde — warnen, dass jemand dich belästigen könnte
  • Arbeitgeber? Nur wenn nötig. Hängt von der Situation ab.
  • Plattformen, auf denen du aktiv bist — Report einreichen

4. Inhalte löschen/privat stellen

  • Social Media auf privat
  • Alte Posts mit persönlichen Infos löschen
  • Profilbilder ändern (falls sie dich identifizieren)

Phase 2: Schadensbegrenzung (erste Woche)

1. Wo wurde die Info veröffentlicht?

Checke überall. Google deinen Namen. Reddit. Twitter. 4chan. Telegram-Gruppen. Discord.

Nutze Google Alerts — automatische Benachrichtigung, wenn dein Name auftaucht.

2. Entfernung beantragen

  • Bei Plattformen: Reddit, Twitter, Facebook — alle haben Report-Funktionen für Doxing.
  • Bei Google: "Entfernung von Inhalten" beantragen (DSGVO in Europa).
  • Bei Websites: Kontaktiere den Admin, drohe mit rechtlichen Schritten.

Wichtig: Sei hartnäckig. Ein Report reicht oft nicht. Nachhaken.

3. Rechtliche Schritte prüfen

Doxing ist in vielen Ländern illegal. In Deutschland kann es unter "Stalking", "Beleidigung" oder "Verletzung der Privatsphäre" fallen.

  • Anzeige erstatten: Bei der Polizei. Bring alle Beweise mit.
  • Anwalt konsultieren: Spezialisiert auf Internet-Recht. Kostenlose Erstberatung oft möglich.
  • Einstweilige Verfügung: Zwingt den Täter, die Infos zu entfernen. Schnell, aber kostet.

Real talk: Die Polizei nimmt Cyber-Kriminalität oft nicht ernst. Aber eine Anzeige schadet nicht. Dokumentiert den Fall.

4. Sicherheit zu Hause

Wenn deine Adresse raus ist:

  • Türschloss austauschen (falls der Täter Zugang haben könnte)
  • Nachbarn informieren (vage — "Ich hab ein Stalking-Problem")
  • Überwachungskamera installieren (Doorbell-Cam, etc.)
  • Bei Bedrohungen: Polizei informieren, Schutzanordnung beantragen

Phase 3: Neuanfang (erste Monate)

1. Neue Identität aufbauen (online)

Dein alter Creator-Account ist verbrannt? Zeit für einen Neustart.

  • Neuer Username (komplett anders, keine Ähnlichkeit)
  • Neue Email
  • Neue Zahlungsmethode
  • Anderer Content-Style (wenn möglich)

Verknüpfe NICHTS mit dem alten Account. Null. Nada.

2. Fanbase migrieren (vorsichtig)

Du hast treue Kunden. Kannst du sie mitnehmen?

  • Nur die, denen du 100% vertraust
  • Über verschlüsselte Kanäle (Telegram, Signal)
  • Neue Regeln: Keine persönlichen Fragen, strikte Anonymität

Oder: Kompletter Neuanfang. Frische Fanbase. Sicherer, aber härter.

3. Lessons learned

Was ist schiefgelaufen? Analysiere. Ehrlich.

  • Hast du Metadata vergessen?
  • War ein Username zu ähnlich?
  • Hast du zu viel persönliches geteilt?
  • War die Trennung zwischen Accounts nicht strikt genug?

Fehler passieren. Aber lerne draus. Mach sie nicht nochmal.

Rechtliche Optionen im Detail

1. Strafanzeige bei der Polizei

Mögliche Straftatbestände (Deutschland):

  • §238 StGB — Nachstellung (Stalking): Wenn der Täter dich verfolgt, belästigt.
  • §185 StGB — Beleidigung: Wenn beleidigende Inhalte dabei sind.
  • §186 StGB — Üble Nachrede: Falsche Behauptungen über dich.
  • §201a StGB — Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs: Heimliche Aufnahmen, unerlaubte Veröffentlichung von Bildern.

Bring alle Beweise mit. Screenshots. URLs. Zeugenaussagen.

2. Zivilrechtliche Schritte

  • Unterlassungsklage: Zwingt den Täter, die Veröffentlichung zu stoppen.
  • Schadensersatz: Bei finanziellen Schäden (z.B. Job verloren).
  • Schmerzensgeld: Bei psychischem Leid.

Kostet Geld. Aber wenn der Täter bekannt ist, kann's sich lohnen.

3. Plattform-Reports (konkret)

Reddit:

  • Report → "Harassment" → "Doxing"
  • Moderatoren kontaktieren
  • Admin-Report: reddit.com/report

Twitter/X:

  • Report Tweet → "Sharing private information"
  • Formular ausfüllen mit Beweisen

Facebook:

  • Report Post → "Privacy violation"
  • Zusätzlich: support.facebook.com

Google (Suchergebnisse):

  • support.google.com/websearch/answer/9673730
  • Formular: "Entfernung personenbezogener Daten"

Psychologische Auswirkungen — du bist nicht allein

Gedoxxt zu werden ist traumatisch. Es ist normal, dass du dich fühlst:

  • Ängstlich
  • Paranoid
  • Machtlos
  • Wütend
  • Beschämt (obwohl du nichts falsch gemacht hast)

Was hilft:

  • Therapie: Professionelle Hilfe. Kein Stigma. Du hast was durchgemacht.
  • Support-Gruppen: Online-Communities für Doxing-Opfer (z.B. r/privacy, spezialisierte Foren).
  • Freunde/Familie: Rede darüber. Mit Menschen, denen du vertraust.
  • Zeit: Es wird besser. Nicht sofort. Aber es wird.

Spezialfall: Arbeitgeber/Familie erfährt davon

Arbeitgeber:

Worst case. Dein Chef weiß jetzt, dass du Fußbilder verkaufst.

  • Proaktiv sein: Bevor er dich anspricht, geh zu ihm. Erkläre die Situation. "Ich wurde Opfer von Cyber-Mobbing."
  • Rechtliches: In vielen Ländern kann er dich nicht einfach feuern (Privatleben ist Privatsache). Arbeitsrecht-Anwalt konsultieren.
  • Alternative: Job wechseln. Neuanfang.

Familie:

Noch schwieriger. Hängt von deiner Familie ab.

  • Ehrlichkeit: Wenn sie's eh wissen, red offen drüber. Erkläre, warum du das machst.
  • Grenzen setzen: "Ich akzeptiere eure Meinung, aber das ist meine Entscheidung."
  • Support suchen: Nicht alle Familien reagieren negativ. Manche überraschen dich positiv.

Umzug — wann ist es nötig?

Extrem. Aber manchmal nötig.

Wann umziehen?

  • Konkrete Bedrohungen (Stalking, körperliche Gewalt)
  • Täter kennt deine Adresse und nutzt sie aktiv
  • Polizei rät dazu

Wie?

  • Neue Adresse geheim halten (nicht im Telefonbuch, nicht bei Behörden öffentlich)
  • Melderegisterauskunft sperren lassen (möglich in DE/AT/CH)
  • Kontakte minimieren (wer weiß die neue Adresse?)

Langfristige Sicherheitsmaßnahmen

1. Digitale Hygiene

  • VPN immer an
  • Metadata IMMER entfernen
  • Regelmäßig nach dir selbst googeln
  • PimEyes-Checks (monatlich)

2. Physische Sicherheit

  • Adresse nicht öffentlich
  • Post an Packstation oder PO Box
  • Smart Home Security (Kameras, Alarmanlagen)

3. Kommunikation

  • Verschlüsselte Apps (Signal, Telegram)
  • Keine persönlichen Infos an Kunden
  • Misstraue jedem

Kann ich weitermachen?

Die große Frage. Hängt ab von:

  • Wie schlimm war das Doxing?
  • Wurde es weitverbreitet oder nur lokal?
  • Hast du noch Lust darauf?
  • Kannst du die Sicherheitsmaßnahmen einhalten?

Manche Creator machen weiter. Mit neuer Identität. Strengeren Regeln. Mehr Paranoia.

Andere hören auf. Ist auch ok. Deine mentale Gesundheit geht vor.

Community-Support

Du bist nicht der erste, dem das passiert. Und nicht der letzte.

Hilfreiche Communities:

  • r/privacy (Reddit)
  • r/SexWorkers (Support für Content Creators)
  • Spezialisierte Discord-Server (für Creator)
  • Online-Selbsthilfegruppen für Doxing-Opfer

Rede drüber. Mit Menschen, die's verstehen. Es hilft.

Notfall-Kontakte

Deutschland:

  • Polizei: 110 (bei akuter Gefahr)
  • Weißer Ring (Opferhilfe): 116 006
  • Telefonseelsorge: 0800 111 0 111

Österreich:

  • Polizei: 133
  • Opfer-Notruf: 0800 112 112

Schweiz:

  • Polizei: 117
  • Opferhilfe: 0848 35 45 55

Checkliste — nach dem Doxing

Sofort (Tag 1):

  • Dokumentieren (Screenshots, URLs)
  • Passwörter ändern
  • 2FA aktivieren
  • Accounts auf privat

Diese Woche:

  • Entfernung beantragen (Plattformen, Google)
  • Anzeige erstatten
  • Anwalt konsultieren
  • Sicherheit zu Hause checken

Langfristig:

  • Neue Identität aufbauen (wenn weitermachen)
  • Therapie/Support suchen
  • Digitale Hygiene verbessern
  • Regelmäßig monitoren (Google Alerts, PimEyes)

Zusammenfassung

Gedoxxt zu werden ist der Albtraum jedes Creators. Aber es ist nicht das Ende.

Du kannst handeln. Du kannst den Schaden begrenzen. Du kannst dich schützen. Du kannst weitermachen — oder aufhören, wenn du willst.

Wichtig: Handle schnell. Dokumentiere alles. Hol dir Hilfe. Und gib nicht auf.

Du hast das nicht verdient. Aber du schaffst das.